Gertrude Schatzdorfer-Wölfel gehört zu den erfolgreichsten Frauen in der österreichischen Wirtschaft. Die vielfach ausgezeichnete Managerin ist geschäftsführende Gesellschafterin von Schatzdorfer Gerätebau in Zipf und setzt sich seit Jahren für Sei So Frei ein.

Sie sind Botschafterin für Sei So Frei. Was macht für Sie die Arbeit dieser Organisation aus?
Es sind die Menschen und deren Haltung, die diese Organisation ausmachen und prägen, und die beeindrucken mich. Da geht es nicht um (Entwicklungs-)Hilfe um deren selbst willen, sondern darum, den bedürftigen Menschen ihre Würde zurückzugeben. Nicht Mitleid, sondern Mithilfe und die Überzeugung, dass jeder kleine Schritt ein Stückchen Weg aus der Armut ist, in ein selbstbestimmtes Leben, das schätze ich überaus an Sei So Frei.

Als vielfach ausgezeichnete Unternehmerin kennen Sie die vielfältigen Herausforderungen, die an Führungspersonen gestellt werden. In unseren Projektgebieten übernehmen oft Frauen in männerdominierten Gesellschaften diese Verantwortung. So auch in Tansania. Wie beurteilen Sie deren Ausgangspositionen?
Die Frauen in Tansania haben Herausforderungen zu meistern, die mit unseren nicht zu vergleichen sind. Die Gewalt gegen Frauen – insbesondere häusliche Gewalt – ist besorgniserregend. Schule und Ausbildung sind in diesem ostafrikanischen Land noch immer keine Selbstverständlichkeit – Mädchen und junge Frauen sind davon besonders betroffen. Umso größer ist meine Anerkennung für den Mut und die Anstrengungen dieser Verantwortungsträgerinnen. Mit der Unterstützung von Sei So Frei schaffen es diese Frauen, selbstbewusst aufzustehen, Tabus zu brechen und neue Strukturen aufzubauen, die das Leben der Familien positiv verändern und irgendwann auch die Gesellschaft von Tansania.

In Ihrer Führungsarbeit legen Sie großen Wert auf Weiterbildung und Schulungen – eines der Themen, die sich in unserer Arbeit überschneiden.
Aus- und Weiterbildung befähigt Menschen, selbstständig zu denken, zu handeln und zu leben. Das muss man wollen und aushalten, dass andere neben dir wachsen, irgendwann auch noch kritische Fragen stellen und vielleicht auch noch unabhängig werden. Bildung ist der einzige Weg aus der Unterdrückung und Abhängigkeit. Aber genau darin liegt die Basis zum nachhaltigen Erfolg, weil Veränderung und Weiterentwicklung zugelassen werden. Das gilt für jedes System, egal ob Unternehmen oder Organisation.

Sie haben auch unsere Projektpartnerin Saria bereits kennengelernt. Finden Sie Parallelen zwischen ihr bzw. den Frauen, die unsere Projekte weltweit leiten, und Ihnen selbst?
Menschen/Frauen, die etwas bewegen, haben wohl ähnliche Grundhaltungen die sie prägen: eine große Vision, ein klares Ziel, einen starken Glauben, die Liebe zu den Menschen und Humor. Und sie wurden wohl vom lieben Gott mit einer extra Portion Energie ausgestattet.

Sie konnten sich bereits vor Ort ein Bild der Projektarbeit von Sei So Frei machen. Wie war diese Erfahrung für Sie persönlich?
Meine Reise nach Guatemala hat mich tief und nachhaltig berührt. Vieles, was für uns selbstverständlich ist, ist in diesem Land ein Privileg, z. B. eine Schule zu besuchen und täglich eine warme Mahlzeit zu bekommen. Zu sehen, mit welcher Freude und Motivation diese Kinder lernen, war beeindruckend. Fließendes Wasser, das man trinken kann – darüber denken wir nicht mehr nach – für diese Menschen war es ein Geschenk, das sie mit großer Dankbarkeit und Demut erfüllt. Oder die „Steinhauer-Kinder“: 4- bis 10-Jährige, die tagein, tagaus mit einem Hammer große Steine bearbeiten, um Steine in verschiedenen Größen zu bekommen bis hin zum Sand – was dann von Baufirmen zu einem Spottpreis aufgekauft wird. Kinderarbeit, damit Familien ein Einkommen haben, das sie überleben lässt. Diese Bilder gehen nicht mehr aus meinem Kopf und bestätigen mir immer wieder: Ich bin ein privilegierter Mensch, weil ich in Österreich zur Welt kommen durfte.

Wie nahezu alle Unternehmen weltweit sind Sie aktuell mit den Umständen dieser Ausnahmesituation konfrontiert. Wie gehen Sie mit diesen Unsicherheiten um und wie schätzen Sie den Umgang damit in weniger gut strukturierten Umfeldern (Unternehmen, Einrichtungen, Organisationen, etc.) ein?
Als gläubiger Mensch ist mein Leben von Optimismus geprägt und vom Glaubenssatz beseelt: „Alles wird gut.“ – auch wenn die Dynamik, die Unberechenbarkeit und das globale Ausmaß schon eine Dimension erreichen, die sehr viel Energie und Durchhaltevermögen kosten. Frust und Angst finden einen guten Nährboden in dieser nie dagewesenen Situation. Der Gedanke, jetzt in Syrien oder in einem Flüchtlingscamp leben zu müssen, oder in einem Entwicklungsland, ist für mich unvorstellbar. Ich versuche – wie viel andere auch – diese Krise als Chance zu sehen und mein privates und berufliches Leben zu reflektieren. So schwer diese Monate jetzt sind, so viel Potential zur Veränderung haben sie auch. Das gilt es zu nutzen. Frei nach dem Motto: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt so ist, wie sie ist, aber es wäre deine Schuld, wenn sie so bleibt.“

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Projekte in Guatemala

Foto: © Mario Riener