Für den aktuellen Weltblick hat Bischof Manfred Scheuer mit uns im Jänner 2024 über Klassen- wie auch Kirchenräume gesprochen, über den Beitrag der katholischen Kirche in der oberösterreichischen Schullandschaft und darüber, dass Bildung ein Schlüssel in der Persönlichkeitsentfaltung ist.

Warum unterstützen Sie als Sei-So-Frei-Botschafter unsere Arbeit?
Scheuer: Sei So Frei steht – wie alle im Welthaus der Diözese Linz ver­bundenen Organisationen – für ein größeres Wir. Das heißt, die Grenze unserer Nächstenliebe ist nicht in Wullowitz oder in Mondsee oder am Pyhrnpass, sondern zum Wir unserer Solidarität gehören ganz unter­schiedliche Kulturen. Sei So Frei hält zum einen die Solidarität mit Ländern des „Südens“ wach und be­treibt andererseits bei uns wichtige Bewusstseins- und Bildungsarbeit.

Wie wichtig ist Schulbau, etwa in Uganda, für Bildungsziele?
Scheuer: Für Bildungsprozesse und Erziehung sind konkrete Personen wichtig, diese Beziehungsdimension kann man nicht durch Infrastruktur ersetzen. Aber wir wissen auch, dass Räume einen bestimmten Geist (manchmal auch Ungeist) haben. Architektur, wie ich mich in einem Raum fühle, hat große Auswirkung auf das Innenleben. Räume können gesund oder krank machen, können aufmerksam machen oder ermüden.

Etwas „Raum geben“, im wörtli­chen Sinn: Was bewirkt das?
Scheuer: Durch Räume wird schon gezeigt: Das ist uns etwas wert. Die Architektur eines Dorfes oder einer Stadt zeigt die Prioritäten. Wem ge­hört – verkürzt gesagt – unser Herz? Was ist uns besonders wichtig? Ist es das Geld, sind es die Geld-„Tempel“, sind es die Kultur- oder Sport-„Tem­pel“, sind es die Bildungseinrichtun­gen? Das sind ja öffentliche Bauten.

Wie sieht es mit Kirchen im Orts­bild aus, hier in Oberösterreich?
Scheuer: Ich glaube, die Identifika­tion der Menschen in Oberösterreich ist nach wie vor relativ hoch, was die Kirchengebäude anlangt. Ich merke das zum Beispiel beim Mariendom, das ist sicher ein religiöses Gebäude, ein Feierraum. Er ist aber auch ein Kulturraum, ein Raum des Inne­haltens, eigentlich ein Erlebnisraum für Kunst und Musik. Man geht auf Entdeckungsreise in die Geschichte. Kirchengebäude bergen in sich nicht nur eine Geschichte des Glaubens, sondern auch der Schicksale: einzelne Erfahrungen, aber auch ge­sellschaftliche Erfahrungen. Und Kir­chengebäude sind Ausdruck dessen, dass wir die Gegenwart gestalten und dass wir uns selbst zutrauen, eine Zukunft zu haben. Kirche ist kein Museum, sondern ein Ort der Geschichte, aber nicht im Sinne der musealen Verwaltung.

Welche Rolle hat die katholische Kirche in der oberösterreichischen Bildungslandschaft?
Scheuer: Wir sind sehr präsent, zum einen durch den Religionsunterricht, der eine ganz starke Brückenfunk­tion hat, der auch zwischen unter­schiedlichen Schichten und Grup­pen Verbindungen schlägt und oft in den Klassen so etwas ist wie ein Kitt. Zum anderen sind wir nach wie vor ganz stark durch Bildungseinrich­tungen in katholischer Trägerschaft vertreten: angefangen bei Caritas- Kindergärten über Einrichtungen der Diözese, wie Katholische Universität, Pädagogische Hochschule oder zum Beispiel Stiftergymnasium, bis zu den Ordensgemeinschaften – die sind ganz wichtige Player im Privat­schulbereich.

Will Kirche neben Bildung auch Werte vermitteln?
Scheuer: Bildung ist ein Schlüssel in der Persönlichkeitsentfaltung. Dazu gehören auch Werte – aber nicht nur Werte. Letztlich geht es bei Bildung um das Entdecken, Wachsen, Reifen in der eigenen Freiheit, darum, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dazu gehört kritisches Bewusstsein, aber: in der Entfaltung der Gott­ebenbildlichkeit. Das heißt, dass ich auch meine Würde, meinen Selbst­wert entdecke und lebe, aber in solidarischer Form, in ökologischer Verantwortung. Dass ich staunen kann, dass ich dankbar sein kann. Das gehört zu einer Persönlichkeits­entwicklung dazu. Und das ist auch der Beitrag von Kirche. Nicht, dass das andere nicht machen würden, nur kommt es im Zuge von öko­nomischen oder technologischen Zwecken, Zwängen manchmal, zu Vergesslichkeiten. Und dann geht es nicht nur um kritisches Bewusstsein, sondern auch um positive Erfahrun­gen. Es gehört zu einer Persönlich­keitsentfaltung dazu, dass ich ver­trauen kann, dass ich hoffen kann, dass ich Freude am Leben habe.

Kirchliche Werte – sind sie modern oder zeitlos?
Scheuer: Es sind personale, huma­ne Werte, die müssen sich inkarnie­ren, sozusagen in der Zeit verleib­lichen, sonst existieren sie nicht. Von „zeitlos“ halte ich nicht viel. Ich muss mich auf die Werte einer Zeit einlassen, im Bewusstsein, dass jede Zeit ihre Vorzüge, ihre Werte, aber auch ihre Unwerte hat. Ich möchte nicht sagen, dass etwa heute die Leute weniger solidarisch sind, aber die Belastbarkeit der Solidarität ist nicht immer stärker geworden.

Was halten Sie von Ethikunterricht statt Religionsunterricht?
Scheuer: Grundsätzlich leistet der Religionsunterricht sehr viel auch an Ethik. Im Sinn zum Beispiel von Kant ist Ethik universal, hat etwas Allgemeines und schaut nicht so sehr auf konkrete Zugehörigkeiten. Aber Religion ist nicht abstrakt. Ich glaube, dass durch den Religions­unterricht noch etwas anderes herauskommt: Was ist mit der Trost­funktion von Religion? Nämlich zum Beispiel angesichts von Leiden und Tod. Oder: Was ist die Hoffnungs­dimension meines Lebens? Was ist mit der Frage der Zugehörigkeit, der Beheimatung? Was junge Leute auch brauchen, ist die Ermutigung, sind Erfahrungen der Zugehörigkeit, der Wertschätzung, der Beheimatung.

Vermitteln kirchliche Schulen diese Gefühle?
Scheuer: Grundsätzlich gehe ich davon aus, aber da muss man nüch­tern draufschauen. Ich würde nicht von Vornherein sagen, dass in kirch­lichen Privatschulen Leute so viel frömmer sind als in anderen (lacht).

Was sind die aktuellen Herausfor­derungen kirchlicher Schulträger?
Scheuer: Die teilen wir mit vielen anderen. Da stellt sich die Frage: Wie bekommen wir im pädagogischen Bereich Nachwuchs? Beziehungs­weise dann auch die Frage, wie können wir die einzelnen Schulen in einem bestimmten Geist prägen? Das hängt ja immer an konkreten Personen, an der Leitung, aber auch am Miteinander. Da gibt es oft einen guten Spirit, aber der ist nicht selbstverständlich. Der ist auch nicht gegeben durch das Etikett „ka­tholische Schule“, sondern das ist eine Arbeit, in die man auch etwas investieren muss.

Was ist Ihnen an Ihrer Volksschule in Erinnerung geblieben?
Scheuer: Ich war in den ersten Jah­ren noch in einer ganz alten Schule, mit richtig alten Bänken, und bin dann in meinem letzten Volksschul­jahr in einen Neubau gekommen. Das war eine andere Welt, da habe ich schon gesehen, was Räume ausmachen. Mit meiner Schulzeit verbinde ich auch eine gewisse Dankbarkeit, dass ich durch meine Lehrer•innen das geworden bin, was ich bin. Manchmal mit Vorzügen, manchmal mit Nachteilen (lacht).

Dr. Manfred Scheuer, 1955 in Haibach ob der Donau geboren, studierte in Linz sowie an der Päpstlichen Universität Gregoriana Theologie und wurde 1980 in Rom zum Priester geweiht. Nach seiner Dissertation bzw. Habilitation lehrte er an verschiedenen Universitäten in Österreich und Deutschland, bevor er 2003 zum Diözesanbischof von Innsbruck, 2016 von Linz ernannt wurde.